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Zum Emissionsaustoß des Internets: Schlagzeilen unter Strom


Jeder Klick kostet Strom. Jede Google-Suche und jede Minute, die man bei Netflix streamt stößt deshalb Kohlenstoffdioxid aus – das sogenannte Klima-Gas.

In den Medien kursieren sehr unterschiedliche Zahlen, was unser Alltag im Internet tatsächlich kostet. Die Stromkosten werden in CO2-Abgase umgerechnet und die CO2-Abgase werden mit anderen Klima-Sünden verglichen. So heißt es beispielsweise bei einer Studie von E.ON aus dem Jahr 2020: 30 Minuten streamen kostet so viel CO2 wie 7 Kilometer Auto fahren.

Diese Zahl rüttelt auf. Aber wie verlässlich können solche Angaben sein?

Den Emissionsausstoß des Internets zu ermitteln ist eine komplexe Rechenaufgabe. Er setzt sich zusammen aus direkten, indirekten und grauen Emissionen:

  • Die direkten Emissionen ergeben aus dem Stromverbrauch des Nutzers. Beim Streamen spielen beispielsweise das Datenvolumen oder die Bildschirmgröße eine entscheidende Rolle(Großer Bildschirm = Mehr Strom). Aber auch, ob der Nutzer Strom aus erneuerbaren Energien oder dem Kohlekraftwerk bezieht ist entscheidend für die Frage, wie klimaschädlich das Binge-Watching ist.

  • Die indirekten Emissionen ergeben sich aus der Infrastruktur, die sich hinter der alltäglichen Nutzung verbirgt. Sie hängt beispielsweise davon ab, wo die Server des Anbieters stehen und wie viel Strom seine Rechenzentren verbrauchen.

  • Schließlich gibt es noch die grauen Emissionen. Das sind die Emissionen, die beim Auf- und Abbau der Infrastruktur entstehen. Beispielsweise die Verarbeitung und der Transport von Baumaterialien.

Um einen CO2-Ausstoß anzugeben, müssen diese Parameter geschätzt werden. Diese Schätzung berufen sich auf Studien, die zumeist selbst auf Studien basieren. Ein Beispiel: E.ON untersucht, wie hoch der Stromverbrauch beim Streaming ist:

  1. Zunächst wird eine Studie aus dem Jahr 2019 zitiert, der gemäß 61 % des Datenvolumens im Internet durch Video-Streaming anfalle.

  2. Das gesamte Datenvolumen wird gemäß einer anderen Studie aus 2017 auf 1,2 Milliarden Terabytes geschätzt. Anhand dieser beiden Studien rechnet E.ON aus, wie groß das Datenvolumen beim Video-Streaming ist. Dass dabei unterschiedliche Jahre und Grundannahmen miteinander vermischt werden, wird vernachlässigt.

  3. Jetzt rechnet E.ON das Datenvolumen in den Stromverbrauch um. Auf welcher Grundlage diese Umrechnung erfolgt, wird nicht erläutert. Dabei ist es gar nicht so einfach zu sagen, wie viel Strom Datenvolumen kostet. Auch das hängt von vielen Faktoren ab, beispielsweise wie weit die Strecke ist, die die Daten zurücklegen müssen. Das Ergebnis von E.ON: Der Stromverbrauch betrage 200 Milliarden kWh pro Jahr.

  4. Schließlich nimmt E.ON an, dass der Stromverbrauch aller Privathaushalte in Deutschland, Italien und Polen auch 200 Milliarden kWh betrage. Auch diese Annahme wird nicht weiter begründet.

Am Ende steht dann die Meldung: Streaming verbraucht genauso viel Strom wie alle Privathaushalte in Deutschland, Italien und Polen zusammen!


Es gibt viele Beispiele für derartige Hochrechnungen und die Ergebnisse liegen teilweise sehr weit auseinander.

Das hat auch der Analyst George Kamiya gezeigt. In einem Artikel analysiert er den CO2-Ausstoß von Streaming-Diensten und kommt zu dem Fazit: Eine halbe Stunde Netflix-Schauen entspricht einer Autofahrt von 100 Metern. Das ist um den Faktor 70 kleiner als bei E.ON.


Offensichtlich ist das Thema zu komplex, um es in einer Schlagzeile zusammenzufassen. Die Zahlen, die präsentiert werden, erzeugen einen trügerischen Eindruck von Faktizität. Tatsächlich ist es aber praktisch unmöglich, einen genauen CO2-Austoß zu ermitteln. Sicher ist nur: Jeder Klick kostet Strom und Strom erzeugt – solange er nicht zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien kommt – CO2-Emissionen.

 

Quellen


Stromverbrauch Internet. e.on. Abgerufen am 23.05.2021 von https://www.eon.de/de/pk/strom/strom-sparen/stromverbrauch-internet.html


(2019,15. Dezember) Vestager sieht Streaming als Herausforderung für Klimaschutz. Die Welt. Abgerufen am 23.05.2021 von https://www.welt.de/politik/deutschland/article204339152/Margrethe-Vestager-sieht-Streaming-als-Herausforderung-fuers-Klima.html


Marinela Potor (2020, 21. Januar) Microsoft-Klimaplan: Wie nachhaltig ist er wirklich?. BasicThinking. Abgerufen am 23.05.2021 von https://www.basicthinking.de/blog/2020/01/21/microsoft-klimaplan-analyse/


George Kamiya (2020,25. Februar) Factcheck: What is the carbon footprint of streaming video on Netflix. CarbonBrief. Abgerufen am 23.05.2021 von https://www.carbonbrief.org/factcheck-what-is-the-carbon-footprint-of-streaming-video-on-netflix


Jan Schulte (2020, 08. August) Heizen durch Internetnutzung. Die Welt. Abgerufen am 23.05.2021 von https://www.welt.de/finanzen/immobilien/article213103052/5G-Standard-Wohnwaerme-als-Nebenprodukt-der-steigenden-Internetnutzung.html


Marinela Potor (2021, 8. Februar) Wie groß ist der CO2-Abdruck für einen Klick im Internet? BasicThinking. Abgerufen am 23.05.2021 von https://www.basicthinking.de/blog/2021/02/08/co2-abdruck-internet/#:~:text=The%20Shift%20Project%2C%20ein%20franz%C3%B6sischer,der%20weltweiten%20Treibhausgasemissionen%20verantwortlich%20ist

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