Spazieren ist der neue Volkssport. Aber nicht erst seit der Corona-Pandemie waren die Füße das beliebteste Verkehrsmittel in Berlin: Eine Umfrage von 2018 besagt, dass 30 Prozent aller Wege in der Stadt zu Fuß zurückgelegt werden.
Trotzdem stand der Fußgänger lange am Ende der Nahrungskette. Ein paar Anekdoten zur Veranschaulichung:
Das Auto biegt mit quietschenden Reifen ab, anstatt zu bremsen und den Fußgänger passieren zu lassen.
Die Ampel springt auf grün, man läuft eiligen Schrittes los – und muss auf der Mittelinsel abrupt zum Stehen kommen, weil die Ampel innerhalb weniger Sekunden zurück zu rot wechselt. Hier steht man nun, gefühlte fünf Minuten, während die Autos eng um einen herum vorbeirauschen.
Zwischen Fußgängerweg und Fahrradstreifen quetscht sich die Bushaltestelle. Wer hier wartet, steht allen im Weg und bekommt das auch gerne und unfreundlich ins Gesicht gesagt.
Mit dem Mobilitätsgesetz hat sich Berlin 2018 auf die Fahne geschrieben, die Hackordnung zu ändern. Damals stand vor allem das Fahrrad im Mittelpunkt, Radwege sollten ausgebaut, Fahrradstraßen aufgebaut werden. Jetzt hat Berlin das Mobilitätsgesetz erweitert und rückt den Fußgänger ins Scheinwerferlicht der verkehrspolitischen Aufmerksamkeit. Es handelt sich dabei um das bundesweit erste Fußgängergesetz.
Beschlossen wurden unter anderem folgende Maßnahmen:
Ampelphasen sollen so eingestellt werden, dass man es in einem Rutsch über die Mittelinsel hinaus auf die andere Straßenseite schafft – und zwar ohne zu rennen.
Es sollen mehr Zebrastreifen, Mittelinseln und Spielstraßen gebaut werden. Und weil der Berliner Senat sich offenbar selbst gut genug kennt, um zu wissen, dass die unbefristete Genehmigung eines Zebrastreifens länger als ein Jahr dauern kann, dürfen die auch vorläufig und provisorisch eingerichtet werden – inspiriert von den Pop-Up-Radwegen.
Es sollen mehr Bänke aufgestellt werden, damit man beim Spazierengehen öfter verschnaufen kann.
Die Bordsteinkanten sollen abgeflacht werden, damit man auch mit Rollator, Rollstuhl oder Kinderwagen auf die andere Straßenseite kommt.
Außerdem soll an allen Ampeln Blindenakustik und Vibrationstasten installiert werden.
Die Polizei soll verstärkt auf vorfahrtsraubende Autofahrer achten und ahnden.
Fußgängerwege sollen frei bleiben. Baustellen, Bushäuschen, Fahrradwege und Parkplätze werden auf die Straße verlagert.
Die Gesetzeserweiterung fasst einige grundlegende Probleme ins Auge, die so manchem Fußgänger ziemlich auf die Nerven gegangen sein dürften. Dementsprechend euphorisch beschreibt die grüne Verkehrssenatorin Regine Günther das Gesetz und sagt: „Der Fußverkehr bekommt dadurch einen ganz neuen Stellenwert.“ Auch die Medien sind grundsätzlich von dem Gesetz überzeugt. So verspricht sich das ZDF von dem Gesetz „viele kleine und große Veränderungen“ zu Gunsten der Fußgänger. Der RBB ist positiv überrascht: „Das Gesetz dürfte an einigen Ecken der Stadt tatsächlich dazu führen, dass Fußgänger Vorrang erhalten.“
Man ist sich also einig, dass das Gesetz auf Papier gut aussieht. Die Herausforderung wird allerdings in der Umsetzung liegen. Fristen oder konkrete Umsetzungsziele hat sich das Land allerdings kaum gesetzt. Nur eines ist schriftlich festgehalten: Die Blindenakustik muss bis spätesten 2030 an allen Berliner Ampeln installiert sein. Berlin hat jetzt also neun Jahre Zeit, alle Ampeln mit dem absolut grundlegenden auszustatten. Wie lange es brauchen wird, bis die weiteren Maßnahmen umgesetzt sind, bleibt abzuwarten.
Quellen
Stefan Jacobs (2021, 28. Januar). Berlin beschließt bundesweit erstesFußgängergesetz. Der Tagesspiegel. Abgerufen am 31.01.2021 von https://www.tagesspiegel.de/berlin/laengere-gruenphase-mehr-sitzbaenke-berlin-beschliesst-bundesweit-erstes-fussgaengergesetz/26859710.html
(2021, 29. Januar) Berlin beschließt erstes Fußgänger-Gesetz. ZDF. Abgerufen am 31.01.2021 von https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/berlin-fussgaenger-gesetz-100.html
Jan Menzel (2021, 28. Januar) Berlin beschließt bundesweit erstes Fußgängergesetz. RBB24. Abgerufen am 31.01.2021 von https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2021/01/berlin-fussgaenger-gesetz-abgeordnetenhaus-mobilitaet.html
Berliner Mobilitätsgesetz – Abschnitt Fußverkehr. Beschlussfassung des Berliner Senats. Abgerufen am 31.01.2021 von https://www.parlament-berlin.de/ados/18/IIIPlen/vorgang/d18-2429.pdf
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