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Rote Karotte

Wenn Hebammen streiken (und warum)?


Kommenden Montag und Dienstag streikt das Krankenhauspersonal der Kliniken Charité und Vivantes: Pflegekräfte, Labormitarbeitende, Hebammen und viele mehr legen für zwei Tage ihre Arbeit nieder. Ein Streik im Krankenhaus ist hart: Wichtige Operationen werden verschoben, die Stationen sind nicht voll besetzt – warum streiken die Pflegekräfte also?


Wer streikt?

In der Presse wird der Streik oft als „Warnstreik der Pflegekräfte“ betitelt. Tatsächlich ist der Zusammenschluss der streikenden Parteien viel größer: Es streiken Pflegekräfte, Essenslieferanten, Physiotherapeuten, Hebammen und viele mehr. Aufgerufen zum Streit hat die Berliner Krankenhausbewegung – einem Zusammenschluss aus Beschäftigen von Charité, Vivantes und deren Tochterunternehmen. Vermittelt wird der Streik von der Gewerkschaft ver.di.

Eigentlich ist der Streik keine Überraschung. Tatsächlich ist er das Ende eines 100-Tägigen Ultimatums, dass die Bewegung den Kliniken gesetzt hat: Wenn in 100 Tagen nicht auf ihre Forderungen eingegangen werde, würden sie streiken. In diesen 100 Tagen erfolgten zahlreiche Verhandlungen, Demonstrationen und Petitionen. Aber nach wie vor sind sich Personal und Kliniken-Betreiber*innen nicht einig.


Was wird gefordert?

Im Kern gibt es zwei Forderungen:

  • Die Beschäftigten fordern einen Entlastungstarif. Das heißt, wer Überstunden macht, wird verbindlich dafür ausgeglichen – entweder mit freien Tagen oder Geld.

Die Krankenhäuser lehnen diese Forderung ab. Wenn sie Überstunden bezahlen würden, wäre das zu teuer. Wenn sie mehr Pflegepersonal einstellen würden, damit niemand mehr Überstunden machen müsste, wäre das zu teuer. Die einzige Alternative sei es, die Kapazitäten der Kliniken runterzufahren. Vivantes warnt vor einem Abbau von 360 bis 750 Betten.

  • Tochterunternehmen sollen an den Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes gebunden werden. Bisher bekommen beispielsweise Labormitarbeitende oder Reinigungskräfte, die nicht direkt von den Kliniken beschäftigt werden, bis zu 900 Euro weniger im Monat als Klinik-Angestellte.

Auch diese Forderungen wird von Vivantes und Charité als zu teuer abgelehnt. Vivantes warnt vor Mehrkosten von bis zu 35 Millionen Euro im Jahr.


Was heißt Notversorgung?

Wenn die Bahn streikt, fahren keine Züge. Das ist nervig, aber verkraftbar. Wenn hingegen Krankenhauspersonal streikt, werden wichtige Operationen verschoben, hilfsbedürftige Menschen können nicht mehr versorgt werden. Deshalb muss eine Notversorgung gewährleistet werden – darin sind sich alle Parteien einig: Die Streikenden, die Krankenhäuser und auch die deutschen Gerichte.

Vivantes und Charité betreiben zusammen 40 Prozent der Krankenhausbetten in Berlin. Als „haarig“ beschreibt die Pflegerin Silvia Habekost, 59, deshalb den Streik. Dennoch plädiert sie dafür, nur eine absolut minimale Notversorgung zu gewährleisten – ein Streik soll schließlich weh tun. Als 2018 die Charité bestreikt worden sei, war bei der Notversorgung teils mehr Personal als an regulären Tagen, berichtet Habekost. Diesmal also richtig, so ihre Forderung.

Dementsprechend verschieben die Krankenhäuser bereits Operationen, die langfristig geplant wurden, zum Beispiel 12 Tumor-Operationen.

Aber wie verhält es sich mit Fällen, die nicht verschoben werden können? Zum Beispiel einer Geburt? In einer Pressemitteilung gibt der Geschäftsführer von Vivantes Johannes Danckert bekannt: In den Kreißsälen der Kliniken Friedrichshain und Neukölln könne nicht gewährleistet werden, dass die geforderte Zahl von Hebammen zum Dienst erscheint.


Das klingt dramatisch – müssen die Kreißsäle schließen?

Nein, nicht unbedingt. Es gibt tatsächlich eine Mindestanzahl an Hebammen – allerdings ist das „nur“ eine Qualitätsrichtlinie, die ohnehin oft gebrochen wird.

Gefordert ist eine Eins-zu-Eins Betreuung der Gebärenden durch eine Hebamme. Tatsächlich betreuen ungefähr die Hälfte aller Hebammen jedoch drei oder sogar vier Frauen gleichzeitig. 2/3 aller Hebammen müssen regelmäßig Vertretungen übernehmen – das heißt sie machen weniger Pausen und mehr Überstunden. Deshalb sind ungefähr 70 Prozent aller angestellten Hebammen in Deutschland in Teilzeit tätig – der Job in Vollzeit wäre nicht verkraftbar.

Wenn die Kliniken davor warnen, dass der Personalschlüssel während des Streiks nicht gewährleistet werden kann, hat das etwas Zynisches: : Eine Betreuung nach Qualitätsstandard ist auch ohne Streik kaum gewährleistet.

Die Aussage von Vivantes-Geschäftsführer Johannes Danckert ist dementsprechend als PR-Maßnahme zu verstehen: Bei einem Streik geht es immer um die Frage des Schuldigen. Wer steht schlecht in der Öffentlichkeit dar – Die Streikenden oder die Arbeitgeber?


Quellen

Arbeit im Kreißsaal. Unsere Hebammen – Fakten und Info. Abgerufen am 21.08.2021 von https://www.unsere-hebammen.de/fakten-infos/arbeit-im-kreisssaal/


Vivantes Pressestelle. Pressemitteilungen. Abgerufen am 21.08.2021 von https://www.vivantes.de/unternehmen/presse/pressemitteilungen/news/mehr-als-2000-hebammen-in-100-jahren


Berliner Krankenhausbewegung. Abgerufen am 21.08.2021 von https://berliner-krankenhausbewegung.de/



Kristina Tschenett (2021, 18. August) Ohne Notdienstvereinbarung keine sichere Versorgung. Vivantes. Abgerufen am 21.08.2021 von https://www.vivantes.de/unternehmen/presse/pressemitteilungen/presse-detail/news/ohne-notdienstvereinbarung-keine-sichere-versorgung



Hannes Heine. (2021, 19. August) Pflegekräfte in Berlin streiken wohl ohne Notdienst-Vereinbarung. Tagesspiegel. Abgerufen am 21.08.2021 von https://www.tagesspiegel.de/berlin/tarifkampf-in-charite-und-vivantes-krankenhaeusern-pflegekraefte-in-berlin-streiken-wohl-ohne-notdienst-vereinbarung/27531932.html


(2021, 19. August) Vivantes rechnet bei Warnstreik in Berlin mit starken Einschränkungen. Rbb. Abgerufen am 21.08.2021 von https://www.rbb24.de/wirtschaft/beitrag/2021/08/vivantes-charite-verdi-pflege-streik.html


Nicole Opitz (2021, 19. August) Countdown abgelaufen. Taz. Abgerufen am 21.08.2021 von https://taz.de/Countdown-abgelaufen/!5789855/


Kmi (2021, 20. August) Berlin: Arbeitsgericht verbietet Streik ohne Notdienst – Regel bei Vivantes. Berliner Zeitung. Abgerufen am 21.08.2021 von https://www.berliner-zeitung.de/news/berlin-arbeitsgericht-verbietet-streik-ohne-notdienst-regel-bei-vivantes-li.178201



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