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Rote Karotte

Was ist Rom II ?


In dieser Woche einigten sich drei großen Bundesministerien – Finanzen, Wirtschaft und Entwicklung – auf einen Gesetzesentwurf für ein Lieferkettengesetz. Mit dem Gesetz sollen deutsche Unternehmen verpflichtet werden, nur mit Zuliefern zusammen zu arbeiten, die sich auch an die internationalen Menschenrechte halten.

Die Unternehmen werden zu einer Risikoanalyse verpflichtet, das heißt sie müssen ihre Lieferketten überprüfen. Im Falle von erkannten Risiken müssen sie reagieren, ansonsten drohen hohe Strafen im Umfang von bis zu 10 Prozent des Jahresumsatzes.


Die Unternehmen sollen also in die Sorgfaltspflicht genommen werden, um Schaden zu verhindern. Was aber gilt, wenn Schaden geschieht? Wenn zum Beispiel eine Fabrik brennt, in der deutsche Unternehmen produzieren lassen? Wer haftet dann – und nach welchem Recht?


Darauf gibt der Gesetzesentwurf keine Antworten, denn Haftungsregeln werden nicht geklärt. Stattdessen finden sich die Antworten in Rom II.

Rom II ist natürlich kein neues Rom, sondern eine EU-Verordnung, genauer gesagt die Verordnung mit der Nummer 864/2007, die das „auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht“ regelt. Dazu zählt auch der Fall, dass ein deutsches Unternehmen im Ausland produzieren lässt und es im Ausland zum Schadenseintritt kommt. Das klingt abstrakt, deshalb hier ein konkretes Beispiel:

  • Im September 2012 sterben 258 Menschen bei einem Brand in einer Textilfabrik in Pakistan. Drei Hinterbliebene und ein Überlebender reichten später Klage gegen den deutschen Textilhersteller Kik ein, weil er der größte Produzent in der Fabrik war und die Sicherheitsstandards nicht kontrolliert hatte. Für diese Klage galt die EU-Verordnung Rom II.

Im vierten Artikel von Rom II wird festgelegt, dass grundsätzlich das Recht des Ortes des Schadeneintritts gilt. Das heißt, obwohl die Klage in Dortmund eingereicht wurde, galt pakistanisches Recht. Nun sind deutsche Richter natürlich nicht mit dem pakistanisches Rechtssystem vertraut, daher musste ein aufwendiges Gutachten eingeholt werden – mit dem Ergebnis: Der Fall ist verjährt. Es kam also nie zu einer Klage gegen Kik, weil das Dortmunder Gericht Jahre brauchte, um sich in das pakistanische Recht einzuarbeiten.


Dieses Problem wird vom neuen Lieferkettengesetz nicht adressiert. Dabei wäre es ein leichtes, Rom II zu umgehen. Denn die Verordnung bietet den EU-Mitgliedsländern die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, welches Recht gelten soll. Im 16. Artikel von Rom II wird nämlich die Eingriffsnorm festgelegt und die besagt, dass das Recht jedes einzelnen Staates schwerer wiegt als die Verordnung selbst. Wenn also im Lieferkettengesetz festgelegt worden wäre, dass nach deutschem Recht geurteilt werden muss, würde das gelten – nicht mehr Rom II.


Im Gesetzesentwurf wird das aber nicht beschlossen. Das heißt, im Falle von Schadenseintritt werden Gerichtsprozesse nach wie vor gemäß ausländischem Recht verhandelt. Das bedeutet: Sehr aufwendige Rechtsgutachten, die unglaublich viel Zeit in Anspruch nehmen. Es ist eine enorme Belastung für Angehörige, wenn sie Jahrelang darauf warten müssen, bis ein Prozess überhaupt beginnen kann. Außerdem scheint es absurd, dass einerseits Zuständigkeit (deutsches Unternehmen) und andererseits anwendbares Recht (ausländisches Rechtssystem) nicht zusammengehören.


Warum gilt Rom II dennoch? Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens, Drittgeschädigte haben ohnehin selten geklagt, weil ihnen dazu oft die Möglichkeiten fehlen. Anstatt Rom II auszusetzen, haben sich die Bundesministerien deshalb darauf geeinigt, die zivilrechtlichen Klagemöglichkeiten zu erleichtern. Zweitens, bei dem Gesetzesentwurf handelt es sich natürlich um einen Kompromissvorschlag. Wer genau aufpasst, dem fällt sicher auf, dass man auch Rom II aussetzen UND zivilrechtliche Klagemöglichkeiten hätte erleichtern können.

 

Quellen


(2021, 16. Februar) Das neue Sorgfaltspflichtengesetz (Lieferkettengesetz). Noerr. Abgerufen am 21.02.2021 von https://www.noerr.com/de/newsroom/news/das-neue-sorgfaltspflichtengesetz-lieferkettengesetz


VERORDNUNG (EG) Nr. 864/2007 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATESvom 11. Juli 2007über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) Abgerufen am 21.02.2021 von https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32007R0864&from=DE


Rechtsgutachten zur Ausgestaltung eines Lieferkettengesetzes. Abgerufen am 21.02.2021 von https://lieferkettengesetz.de/wp-content/uploads/2020/02/200527_lk_rechtsgutachten_sw_zum_selbstausdrucken.pdf


(2020, 8. Oktober) Stellungnahme der Initiative Lieferkettengesetz. Abgerufen am 21.02.2021 von https://www.bundestag.de/resource/blob/802066/93efc73d39eecabc9455e7f826486064/stellungnahme_leifker-data.pdf


Lage der Nation Nr 229. Abgerufen am 21.02.2021 von https://lagedernation.org/#top


(2019, 10. Januar) Dortmunder Richter weisen Klage gegen Kik ab. Spiegel. Abgerufen am 21.02.2021 von https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/kik-fabrikbrand-in-pakistan-klage-wegen-verjaehrung-abgewiesen-a-1247406.html



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