Vergangenen Dienstag wurde der erste Gast in die Seehundstation in Friedrichskoog gebracht: Ein kleines Seehundbaby, wahrscheinlich erst einen Tag alt und nur 8,6 Kilogramm schwer. Es wurde auf den Namen Lønne getauft.
Lønne ist ein Heuler. So nennt man Seehundjunge, die auf einer Stranddüne zurückgelassen werden und in ein tiefes Heulen verfallen, um ihre Mutter zurückzurufen. Das Heulen der Babys ist meistens ein normaler Kontaktruf. Die Seehundmama erkennt ihr Kind anhand des Geräuschs und kommt zurück, um es zu stillen. Aber es kann auch passieren, dass Mama und Kind getrennt wurden und das Seehundbaby vergeblich heult. Dann wird es als „Heuler“ bezeichnet und kommt in die Seehundstation in Friedrichskoog, der einzigen offiziellen Aufnahmestation für Seehunde an der deutschen Nordseeküste. Hier soll es aufgepäppelt und schließlich ausgewildert werden.
Bis zu 150 Heuler werden jedes Jahr in der Station aufgenommen. Die Saison beginnt im Mai und geht bis Ende Juni. Lønne ist ein Frühchen: Sie ist der erste Seehund, der dieses Jahr in der Station aufgenommen wurde. Aber sie wird bald Gesellschaft bekommen.
Seehunde gebären auf Sandbänken. Ein Seehundbaby ist bei seiner Geburt bis zu 15 Kilogramm schwer und kann schon schwimmen. Aber trotzdem verbringt das kleine Junge viel Zeit auf den Sandbänken der Nordsee: Hier wird es gestillt und kann sich ausruhen, während die Mama jagen geht. Es gibt unterschiedliche Ursachen, warum Mutter und Kind getrennt werden können, meist ist es entweder das Wetter oder der Mensch:
Bei einer starken Sturmflut kann es passieren, dass das Baby von seiner Mutter abdriftet und die beiden sich verlieren. Dann strandet das Seehundjunge auf einer Sandbank und hat kaum Überlebenschancen.
Häufig sind es aber auch Wattwanderer, die Mutter und Kind auseinandertreiben. Wenn man Mutter und Kind zu nah kommt, flieht die Mutter schneller als ihr Baby ins Wasser und die beiden werden getrennt. Oder aber das Seehundbaby wird fälschlicherweise für einen Heuler gehalten. Die Mutter ist in Wirklichkeit bloß Jagen, aber der Mensch, gerührt von dem kläglichen Rufen, kommt dem Seehundjungen so nah, dass die Mutter abgeschreckt wird und nicht mehr zurückkommt.
Das kleine Seehundjunge Lønne wird jetzt ungefähr 65 Tage auf der Station verbringen. Es wird zunächst durch einen Schlauch mit einer Lachsemulsion zwangsernährt. Nach ungefähr zwei Wochen kommt Lønne in eines der Auswilderungsbecken der Station. Ab jetzt muss es sich seinen Fisch selbst fangen. Außerdem kann das Seehundjunge hier mit anderen Seehunden schwimmen und sich so an seine Artgenossen gewöhnen. Wenn Lønne ungefähr 30 Kilogramm wiegt, wird es in die Nordsee ausgewildert. Es ist dann schwerer als seine Altersgenossen in der Natur. Aber es braucht diese Fettreserven, bis es sich an die schwierigere Jagdumgebung im Meer angepasst hat.
Die Seehundstation in Friedrichskoog wurde 1985 gegründet. Seitdem hat sie sich stetig weiterentwickelt und ist heute vor allem auch Bildungseinrichtung. Menschen können die Seehunde besuchen und eine Menge über sie lernen: Zum Beispiel, dass ausgewachsene Seehunde bis zu 1,5 Meter lang werden und ungefähr 80 bis 100 Kilogramm wiegen. An Land bewegen sie sich zwar eher plump, im Wasser aber können die Tiere bis zu 35 km/h schnell schwimmen und für ungefähr 20 Minuten abtauchen. Ein gesunder Seehund kann schon mal 40 Jahre alt werden.
Aber Seehundstationen sind nicht unumstritten: Es wird kritisiert, dass oft Heuler eingeliefert werden, zu denen die Mutter eigentlich zurückgekehrt wäre. Außerdem bekommen hier Seehunde, die verletzt oder krank sind und eigentlich durch Selektion ausgesondert worden wären, eine unnatürliche Chance. In der Zucht können sie überleben, aber wenn sie ausgewildert werden, sterben diese Tiere schnell.
Deshalb nimmt beispielsweise Dänemark seit 1993 keine Heuler mehr auf. In Friedrichkoog gilt zumindest der Grundsatz, keine kranken oder verletzten Seehundbabys aufzunehmen. Ziel der Seehundstation ist es, alle Seehundbabys so schnell wie möglich zurück ins Meer zu bringen. Lønne ist also nur Gast auf der Station und soll so bald wie möglich wieder in der Nordsee schwimmen.
Quellen
Martina Poggel. Geburtensaison der Seehunde. Nordsee. Abgerufen am 16.05.2021 von https://die-ganze-nordsee.de/seehunde
Seehundstation Friedrichskoog. Abgerufen am 16.05.2021 von https://www.seehundstation-friedrichskoog.de/
(2017, 13. Juni) Hilfe für verwaiste Seehundbabys. NDR. Abgerufen am 16.05.2021 von https://www.ndr.de/ratgeber/reise/tierparks/Hilfe-fuer-verwaiste-Seehundbabys,seehundstationen100.html
(2020, 30. Juni) Seehundstation: Die Kinderstube der Heuler. NDR. Abgerufen am 16.05.2021 von https://www.ndr.de/ratgeber/reise/tierparks/Seehundstation-Norddeich-Kinderstube-der-Heuler,norddeich102.html
(2020, 22. Juli) Nordsee: Hilfe für Heuler in der Seehundstation |ARTE. Youtube. Abgerufen am 16.05.2021 von https://www.youtube.com/watch?v=22akzFc4UL4
(2020, 10. September) Friedrichskoog: Zu Gast bei den Heulern. NDR. Abgerufen am 16.05.2021 von https://www.ndr.de/ratgeber/reise/tierparks/Besuch-in-der-Seehundstation-Friedrichskoog,seehundstationfriedrichskoog102.html
(2021, 9. Mai) Seehund. Wikipedia. Abgerufen am 16.05.2021 von https://de.wikipedia.org/wiki/Seehund#Heuler
(2021, 15. Mai) Lønne ist der erste Heuler der Saison. ntv. Abgerufen am 16.05.2021 von https://www.n-tv.de/panorama/Seehundbaby-in-Friedrichskoog-aufgenommen-article22555303.html
(2021, 15. Mai) Erste Heuler der Saison gesichtet. NDR. Abgerufen am 16.05.2021 von https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Erste-Heuler-der-Saison-gesichtet,heuler706.html
Comments