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Rote Karotte

Mit Gegenwind: Berlin gibt das Geld nicht aus


Das Geld ist da

Der Bund tritt kräftig in die Pedale: Er will den Radverkehr mit mehr als einer halbe Milliarde Euro fördern. Das Förderprogramm heißt „Stadt und Land“ und läuft zwischen 2021 und 2023. Besonders daran: Der Bund stellt nur den Rahmen, die konkreten Projekte entstehen in den Ländern und Gemeinden.

Mit dem Geld sollen Investitionen rund um den Fahrradverkehr gefördert werden. Zum Beispiel neue Fahrradwege, die abgetrennt von der Straße und den teilweise lebensgefährlichen Autos verlaufen. Oder Brücken und Unterführungen, die eine entspannte Durchfahrt ermöglichen – ohne an jeder Ampel halten zu müssen.

Das Antrag-Stellen ist wie eine Fahrt mit Rückenwind: Es gibt ein elektronisches Übermittlungsverfahren. Man loggt sich einfach ein, lädt alle Dokumente hoch und klickt auf Abschicken. Das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) prüft den Antrag dann innerhalb eines Monats. Wenn keine Antwort kommt, gilt der Antrag als genehmigt. Ist das Projekt genehmigt, trägt der Bund bis zu 75 Prozent der Kosten. Projekte, die noch bis zum Jahresende 2021 beantragt und genehmigt werden, können sogar auf eine Bezuschussung von 80 Prozent hoffen, um den Corona-gebeutelten Gemeinden unter die Arme zu greifen.


Die versteckten Kosten

Berlin bekommt 4,6 Prozent von den Fördermitteln, also ungefähr 30 Millionen Euro. Zur Einordnung: 2021 hat das Land für die Verbesserung der Infrastruktur für den Radverkehr 8,5 Millionen Euro eingeplant. Das heißt, die Fördersumme entspricht mehr als dem dreifachen Haushaltsbudget.

Aber die Sache hat einen Nagel im Reifen: Die 30 Millionen Euro sind ein Zuschuss, die Differenz muss das Land selbst zahlen. 75 Prozent Zuschuss bedeutet eben auch 25 Prozent Selbstbeteiligung. Das heißt, um die Fördersumme komplett auszuschöpfen müsste Berlin 10 Millionen Euro investieren – ziemlich viel, wenn man bedenkt, dass im Jahr nur 8,5 Millionen Euro eingeplant sind und davon die Instandhaltung der bestehenden Strecken finanziert werden muss.


Berlin fährt gegen den Baum

Der Abgeordnete Stefan Ziller von den Grünen hat nachgefragt, ob Berlin plant, die 30 Millionen Euro in Anspruch zu nehmen. Die Antwort, zusammengefasst: Es ist kompliziert.

Zunächst einmal hakt es an der Organisation – weil es noch keine gibt: „Die Organisation zur Abwicklung des Förderprogramms ist zum derzeitigen Zeitpunkt noch offen.“

Vielleicht ist das auch der Grund, warum das Förderprogramm nirgendwo erwähnt wird. Elf der 16 Bundesländer haben bereits eine Infoveranstaltung angeboten, aber in Berlin fährt das Förderprogramm wie ein schwarzgekleideter Fahrradfahrer ohne Licht durch die Nacht: Kein Mensch sieht ihn! Auf berlin.de gibt es keine Pressemitteilung und auch keine Informationen zum Förderprojekt „Stadt und Land“. Wer den Suchbegriff „Fahrrad“ eintippt, muss sich stattdessen die polizeilichen Unfallmeldungen durchlesen. Hier eine Zusammenfassung des Monats Mai, um zu zeigen: Das Land braucht eine sicherere Fahrradinfrastruktur.

  • 29. Mai: Radfahrerin an den Folgen des Verkehrsunfalls verstorben

  • 28. Mai: Fahrradfahrerin verstarb am Unfallort

  • 27. Mai: Radfahrer bei Verkehrsunfall schwer verletzt

  • 9. Mai: Radfahrerin bei Verkehrsunfall schwer verletzt

  • 7. Mai: Radfahrer von Lkw überrollt

  • 5. Mai: Beim Abbiegen mit Fahrrad kollidiert


Eine Talfahrt, aber bergauf

Aber anstatt aufs Gas zu drücken, fährt Berlin offenbar mit zwei Platten: bisher wurde noch kein einziger Antrag eingereicht. In der Antwort des Abgeordnetenhauses auf Zillers Frage heißt es bloß: Ein Antrag sei für eine Einreichung „vorgesehen“. Und: „die Einreichung von weiteren Anträgen ist in Abstimmung“.

Berlin strampelt also im ersten Gang bergauf und kommt nicht von der Stelle. Das ist ein sattelfestes Problem, denn schon jetzt kündigt das Abgeordnetenhaus an: „der obligatorische Projektabschluss bis Ende 2023 schließt jedoch viele Projekte von vornherein aus“. Wahrscheinlich ist das eine gesunde Selbsteinschätzung: Einen Fahrradweg in Berlin zu bauen dauert nun mal länger als zwei Jahre.

Insofern verschärft sich das Problem: Denn umso später die Anträge kommen, desto weniger Zeit bleibt für die Fertigstellung. Und je weniger Zeit bleibt, desto weniger Anträge wird es geben! Berlin fährt also ein Teufelsrad.

 

Quellen


(2021, 24. Januar) Länder und Gemeinden können Bundesmittel für Radverkehrsinfrastrukturprojekte abrufen. Fahrradportal. Abgerufen am 30.05.2021 von https://nationaler-radverkehrsplan.de/de/aktuell/nachrichten/laender-und-gemeinden-koennen-bundesmittel-fuer


(2021, 25. Januar) Sonderprogramm „Stadt und Land“ für flächendeckende Fahrradinfrastruktur. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Abgerufen am 30.05.2021 von https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Pressemitteilungen/2021/009-scheuer-offensive-besserer-radverkehr.html


(2021, 08. April) Brandenburg erhält 30 Millionen Euro Bundesmittel für Radverkehrsprogramm „Stadt und Land“. Abgerufen am 30.05.2021 von lhttps://mil.brandenburg.de/mil/de/presse/detail/~08-04-2021-bundesmittel-fuer-radverkehrsprogramm

(2021, 18. Mai) Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Stefan Ziller (GRÜNE) zum Thema: Förderprogrammen des Bundes für den Radverkehr. Abgeordnetenhaus Berlin. Abgerufen am 30.05.2021 von https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/18/SchrAnfr/S18-27516.pdf



Presseportal des Landes Berlin. Abgerufen am 30.05.2021 von https://www.berlin.de/presse/pressemitteilungen/index/search/page/1?searchtext=fahrrad


Sonderprogramm „Stadt und Land“. Bundesamt für Güterverkehr. Abgerufen am 30.05.2021 von https://www.bag.bund.de/DE/Navigation/Foerderprogramme/Radverkehr/Sonderprogramm_Stadt_und_Land/Sonderprogramm_Stadt_und_Land_node.html


Hier finden Sie die Präsentationsunterlagen der gemeinsamen Informationsveranstaltungen von Bund und Ländern für die Gemeinden und Gemeindeverbände zum Thema Sonderprogramm „Stadt und Land“. Abgerufen am 30.05.2021 von https://www.bag.bund.de/DE/Navigation/Foerderprogramme/Radverkehr/Sonderprogramm_Stadt_und_Land/Informationsveranstaltungen/Informationsveranstaltungen_node.html


Verwaltungsvereinbarung Sonderprogramm „Stadt und Land“. Abgerufen am 30.05.2021 von https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/StV/verwaltungsvereinbarung-sonderprogramm-stadt-und-land.pdf?__blob=publicationFile

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