Die Box mit Wintermänteln wird gar nicht erst geöffnet: Wer sollte sie kaufen? Das Verkaufspersonal ist in Kurzarbeit, die Kunden zu Hause, das Geschäft seit Monaten geschlossen. Die Box verstaubt, während die Temperaturen steigen und Wintermäntel unverkäuflich werden.
Es stapeln sich momentan viele solcher Boxen in den Lagerhallen des stationären Handels. In Deutschland haben sich laut Schätzungen der Handelsverbände für Textil, Schuhe und Lederware bis Ende Januar 500 Millionen Modeartikel angehäuft. Die Boxen müssen weg. Lagerplatz ist teuer und er wird für neue Boxen voller Frühlingsmode gebraucht.
Die Kleidungsstücke, die sich gerade überall stapeln wurden noch nie getragen und fehlerfrei produziert. Trotzdem warnt Greenpeace davor, dass sie auf dem Müll landen könnten. Denn Verbrennen ist günstiger als Spenden – weil Sachspenden umsatzsteuerpflichtig sind.
Was genau bedeutet das?
Eine Sachspende ist eine unentgeltliche Wertabgabe. Das heißt, ein Unternehmen gibt Gegenstände ab, ohne dafür Geld entgegen zu nehmen. Diese Gegenstände haben aber nach wie vor einen Wert, nämlich die Bemessungsgrundlage. Und auf diesen Wert müssen wie üblich 19 Prozent Umsatzsteuer verrichtet, auch wenn das Unternehmen bei einer Spende diesen Wert natürlich nicht verdient.
Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, werden seit 2012 mit einem Wert von Null Euro bemessen. Dementsprechend beträgt auch die Umsatzsteuer Null Euro. Nur so kann beispielsweise die Tafel überhaupt funktionieren.
Anders verhält es sich bei Kleidung, insbesondere bei Kleidung, die noch nie getragen wurde. Hier liegt der Bemessungswert deutlich höher als null.
Angenommen, ein Unternehmen spendet Kleidung, die mit einem Wert von 160.000 Euro bemessen wird. Dann muss das Unternehmen 19 Prozent Umsatzsteuer darauf zahlen, also 30.400 Euro. Das Unternehmen kann die Spende zwar von der Steuer absetzen lassen, aber dabei wird nicht der Warenwert berücksichtigt, sondern nur die Umsatzsteuer, also 30.400 Euro. Davon werden durchschnittlich 30 Prozent gutgeschrieben, das Unternehmen bekommt also 9120 Euro vom Staat zurück. Alles in allem kostet die Spende dann 21.280 Euro.
Warum ist das so?
Die gesetzliche Grundlage bildet das Umsatzsteuergesetz (UstG). Darin heißt es uner anderem:
„Nach dem neuen § 3 Abs. 1b Nr. 3 UStG werden unentgeltliche Zuwendungen von Gegenständen besteuert […] Hierunter fallen z. B. […] Sachspenden an Vereine“
Das Gesetz beruht auf dem Grundsatz, dass der Verkauf von Kleidung gleichgestellt ist mit der Verwendung von Kleidung für den privaten- oder Personalbedarf, für unentgeltliche Zwecke oder unternehmensfremde Zwecke. So soll vermieden werden, dass die Endverbraucher, egal ob es Kunden, Angestellte oder eben Spendennehmer sind, steuerfrei shoppen können.
Unternehmen machen beim Kauf der Ware den Vorsteuerabzug geltend, das heißt, sie lassen sich die Umsatzsteuer zurückerstatten, die sie ihren Lieferanten gezahlt haben. Wenn sie die Kleidung nun Umsatzsteuerfrei weitergeben würden, käme das gemäß Finanzrecht einem Steuerbetrug gleich. Also müssen die Kleidungsstücke versteuert werden – selbst wenn das Unternehmen keinen Umsatz damit macht.
Die Konsequenz ist, dass verbrennen günstiger ist als spenden. Denn wenn eine Ware vernichtet wird, dann wird ihr kein Wert mehr beigemessen. Sie hat also einen Umsatzsteuerwert von Null Euro.
Im Corona-Jahr 2020 hat der deutsche Staat eine Ausnahme gemacht: Medizinische Güter, also beispielsweise Masken und Desinfektionsmittel, wurden als Sachspenden von der Umsatzsteuer befreit.
Warum nicht auch Kleidung? Die knappe Antwort der Bundesregierung:
„Im Übrigen besteht kein weitergehender Spielraum zur Änderung des Tatbestands der unentgeltlichen Wertabgabe auf nationaler Ebene, da das UStG in seiner aktuellen Fassung Vorgaben der MwStSystRL umsetzt.“
MwStSysRL ist das Akronym für Mehrwertsteuersystemrichtlinie und die kommt aus der EU. Deshalb verweist Deutschland die Verantwortung an die Staatengemeinschaft, und damit bisher ins Leere.
Was mit der halben Milliarde Kleidungsstücke passieren wird, die sich in deutschen Lagerhallen stapeln, bleibt offen. Nur so viel steht fest: Sie zu spenden würde die vom Lockdown gebeutelten Unternehmen eine Menge Geld kosten.
Quellen
2020, 14. Dezember. Umsatzsteuerliche Behandlung von Sachspenden. Deutscher Bundestag. Abgerufen am 28.02.2021 von https://www.bundestag.de/resource/blob/817270/d627be08ef36ff077654b3a71fbc37f0/WD-4-128-20-pdf-data.pdf
2020, 03.August. Steuerrecht macht Spenden teurer als Wegwerfen. mdrAktuell. Abgerufen am 28.02.2021 von https://www.mdr.de/nachrichten/panorama/onlinehandel-retouren-wegwerfen-vernichten-spenden-umsatzsteuer-100.html
2020, 05. Mai. Fragen und Antworten zum Schutzschild für Deutschland. Bundesfinanzministerium. Abgerufen am 28.02.2021 von https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/FAQ/2020-03-13-Corona-FAQ.html#Inhaltsverzeichnis352445a0-feab-4b30-ae72-ce9870f02f09
Gero Furchheim im Gespräch mit Stephanie Rhode. 2019, 21. Dezember. „Vernichten ist günstiger als spenden“. Deutschlandfunk. Abgerufen am 28.02.2021 von https://www.deutschlandfunk.de/retourenware-vernichten-ist-guenstiger-als-spenden.694.de.html?dram:article_id=466478
Nadja Ayoub. 2021, 25.Januar. Wegen Corona: In Deutschland drohen 500 Millionen neue Kleidungsstücke vernichtet zu werden. Utopia. Abgerufen am 28.02.2021 von https://utopia.de/kleidung-vernichtet-corona-greenpeace-221082/
Sabine Holzknecht. 2014. Wegwerfen ist billiger als spenden. Brand eins. Abgerufen am 28.02.2021 von https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2014/konzentration/wegwerfen-ist-billiger-als-spenden
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