Wie der Mensch sein Lebensabend gestaltet, entscheidet auch die Kirche. Denn den kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie gehören 15 Prozent aller Pflegeeinrichtungen in Deutschland. Sie sind damit mit Abstand die größten Betreiber und haben als solche eine entscheidende Marktmacht.
Vergangene Woche verkündete der kleine Arbeitgeberverband BVAP, sich mit Verdi auf einen Tarifvertrag für Pflegekräfte geeinigt zu haben. Bis 2023 sollen bis zu 25 Prozent mehr Lohn gezahlt werden. Die BVAP will, dass der Tarifabschluss für allgemeinverbindlich erklärt wird. Dann wären alle Pflegeeinrichtungen daran gebunden.
Alle? Nicht ganz.
Als kirchliche Wohlfahrtsverbände haben Diakonie und Caritas eigene Tarifverträge und sind an keine Einigungen gebunden. Auch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung betrifft sie nicht. Deshalb wird nun darauf gehofft, dass sie sich freiwillig dem Tarifvertrag anschließen, damit die Lohnerhöhung wirklich für alle Pflegekräfte bundesweit gilt.
Die Sonderrolle der kirchlichen Wohlfahrtsverbände wird auch am Beispiel des assistierten Suizids deutlich: Im Februar 2020 erklärte das Bundesverfassungsgericht Sterbehilfe für legal. Es gebe zwar nach wie vor kein Recht auf Sterbehilfe, aber jedem Einzelnen müsse die Möglichkeit zum selbstbestimmten Suizid eingeräumt werden. Während die Politik seitdem an einem neuen Gesetzesentwurf feilt, hat die Kirche bereits Stellung bezogen: Am 23.06.2020 gab ein Bündnis von 13 katholischen Trägern bekannt, die Sterbehilfe weiterhin abzulehnen. Sie betreiben 634 Krankenhäuser und Sozialeinrichtungen. Ihre Begründung für das verfassungswidrige Ablehnen der Sterbehilfe: „Als Christen vertrauen wir darauf, dass jedes einzelne menschliche Leben in jeder Phase von Gott gewollt und angenommen ist.“
Dabei sind sich Theologen und kirchliche Amtsträger in der Sache gar nicht so einig. Am 10. Januar 2021 veröffentlichten führende VertreterInnen und TheologInnen der protestantischen Kirche einen Beitrag in der FAZ, in dem sie dafür plädierten „den unterschiedlichen Formen, das eigene Leben zu gestalten, Respekt entgegenzubringen.“ Das ist etwas verklausuliert, bezieht aber in einer Debatte, in der es einerseits um die freie Entscheidung des Individuums sterben zu wollen, und andererseits um den Schutz des Lebens geht, eindeutig Position: Wenn sich jemand für den Tod entscheidet, ist diese Entscheidung zu respektieren. Die Autoren möchte darüber hinaus eine „Wahrung der Selbstbestimmung bereitstellen“ – auch und gerade in kirchlichen Einrichtungen.
Einige Tage später, am 30. Januar 2021 bezieht die Diakonie mit einer Pressemeldung Stellung: Sie bekenne sich eindeutig zu einer „Beratung zum Leben“ und plädiere für eine „am Lebensschutz orientierten Grundhaltung“. Auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) kritisiert den Artikel der FAZ und hält daran fest, dass das Leben vor der Selbstbestimmung des Individuums steht.
Es sind schwierige Fragen – aber diese Fragen entscheiden mit darüber, wie jeder einzelne seinen Lebensabend gestalten wird. Deshalb sollte diese Debatten eigentlich ergebnisoffen in der Mitte der Gesellschaft geführt und entschieden werden - nicht von den kirchlichen Wohlfahrtsverbände .
Quellen
Benjamin Lassiwe (2021, 06. Februar) Weiter keine Sterbehilfe in der evangelischen Kirche Berlin. Tagesspiegel. Abgerufen am 07.02.2021 von https://www.tagesspiegel.de/berlin/bundesverfassungsgericht-erklaert-verbot-fuer-nichtig-weiter-keine-sterbehilfe-in-der-evangelischen-kirche-berlin/26889210.html
(2020, 23. Juni) Katholische Träger lehnen assistierten Suizid entschieden ab und warnen vor Paradigmenwechsel. Abgerufen am 07.02.2021 von https://www.presseportal.de/pm/67896/4631670
(2020, 23. Juni) Positionspapier: An der Seite des Lebens. Abgerufen am 07.02.2021 von file:///C:/Users/Lena/AppData/Local/Temp/PositionspapierAnder~tedesLebens2020.pdf
Michael Hollenbach (2020, 24. Juli) Bald Sterbehilfe in kirchlichen Einrichtungen? Deutschlandfunk. Abgerufen am 07.02.2021 von https://www.deutschlandfunk.de/debatte-um-suizid-assistenz-bald-sterbehilfe-in-kirchlichen.886.de.html?dram:article_id=481061
Wolfgang Thierse im Gespräch mit Susanne Fritz (2020, 27. August) Thierse: Suizid als Inbegriff der Selbstbestimmung? Nein! Deutschlandfunk. Abgerufen am 07.02.2021 von https://www.deutschlandfunk.de/die-katholische-position-thierse-suizid-als-inbegriff-der.886.de.html?dram:article_id=483082
Prof Reiner Anselm, Prof. Isolde Karle, Pfarrer Ulrich Lilie (2021,10. Januar) Evangelische Theologen für assistierten professionellen Suizid. Frankfurter Allgemeine. Abgerufen am 07.02.2021 von https://zeitzeichen.net/node/8772
(2021, 13. Januar) Die Würde der Sterbenden – Debatte zum selbstbestimmten Sterben. Diakonie Deutschland. Abgerufen am 07.02.2021 von https://www.diakonie.de/journal/selbstbestimmt-sterben
(2021, 13. Januar) ZdK und katholische Träger lehnen Suizidbeihilfe-Vorschlag ab. Kirche + Leben. Abgerufen am 07.02.2021 von https://www.kirche-und-leben.de/artikel/zdk-und-katholische-traeger-lehnen-suizidbeihilfe-vorschlag-ab
(2021, 30. Januar) Stellungnahme der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Abgerufen am 07.02.2021 von https://www.diakonie.de/fileadmin/user_upload/Diakonie/PDFs/Stellungnahmen_PDF/Stellungnahme_EKD_nach_Ratssitzung_30_01_2021.pdf
Die Wohlfahrtspflege in Deutschland – ein Marktüberblick. Abgerufen am 07.02.2021 von https://www.pflegemarkt.com/2018/04/25/die-wohlfahrtspflege-in-deutschland-ein-marktueberblick/#wohlfahrt2020
Benedikt Peters (2021,01. Februar) Beschäftigte in der Altenpflege können auf mehr Geld hoffen. Süddeutsche. Abgerufen am 07.02.2021 von https://www.sueddeutsche.de/politik/altenpflege-tarifvertrag-verdi-1.5192642
Alfons Frese (2021, 01. Februar) Mehr Geld für das Pflegepersonal. Tagesspiegel. Abgerufen am 07.02.2021 von https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/neuer-tarifvertrag-mehr-geld-fuer-das-pflegepersonal/26872570.html
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