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Rote Karotte

Der lange Weg bis zum Abitur


Am Eingang der jüdischen I. E. Lichtigfeld-Schule steht wie gewohnt Sicherheitspersonal. Aber der 24. Juni 2021 ist ein besonderer Tag für die Schule in Frankfurt-Nordend: An diesem Donnerstag wird zum ersten Mal in Hessen seit 1939 das Abitur an einer jüdischen Schule verliehen.


Das Schulgebäude hat drei Eingänge. Heute benutzen alle das Portal in der Mitte, aber 1804 wurde noch nach Geschlechtern getrennt: Rechts die Mädchen, links die Jungen. Das Eingangsportal der Mädchen ist mit Meerjungfrauen verziert, das der Jungen mit Wassermännern. Das denkmalgeschützte Gebäude in der Hebelstraße hat den Namen Philanthropin, was so viel wie „Stätte der Menschlichkeit“ bedeutet. Vor 200 Jahren lernten hier die ersten Kinder Fächer wie Mathematik, Deutsch und Religion. Mit mehr als 1.000 Schüler*innen ist es zeitweise die größte jüdische Schule Deutschlands.


Die Schule wird von den Nazis geschlossen

Ab 1933 wird das jüdische Leben in Frankfurt systematisch zerstört. Auch die I. E. Lichtigfeld-Schule fällt den Nazis zum Opfer: 1939 werden keine Abiturjahrgänge mehr zugelassen, 1942 schließt die Schule ganz. Vor der Schoa zählte die jüdische Gemeinde fast 30.000 Mitglieder. Während des Nationalsozialismus werden fast 12.000 von ihnen in den Vernichtungslagern ermordet. Die anderen fliehen aus Frankfurt. Das Gebäude wird von der Stadt übernommen und während des Krieges zum Lazarett umfunktioniert.


Nach dem Krieg: Verwaltung und Kino

Es dauert über 50 Jahre, bis wieder Schüler*innen in das Gebäude zurückkehren. Nach dem Krieg richtet die jüdische Gemeinde hier zunächst ein Verwaltungsgebäude ein und – in der ehemaligen Sporthalle der Schule – das Kino „Die Kurbel“. 2006 schließlich wird das Philanthropin wieder zur jüdischen Schule, 2018 kommen neben Grund- und Mittelstufe auch die Oberstufe dazu.


Schul-Alltag mit Hebräisch und Mathe

Heute besuchen rund 500 Schüler*innen die jüdische Ganztagsschule. Dabei sind alle Konfessionen willkommen, nur rund zwei Drittel der Schüler*innen sind jüdischen Glaubens. Trotzdem ist der Schulalltag besonders, nicht nur wegen den verschärften Sicherheitsvorkehrungen am Eingang. Es wird hebräisch gelernt und an wichtigen jüdischen Feiertagen findet kein Unterricht statt. Außerdem: Mathe ist für alle zwingendes Prüfungsfach im Abitur.


Endlich Abi!

Aber weder die verpflichtende Matheprüfung noch Corona haben den zehn Abiturientinnen und einem Abiturienten die Laune verdorben: Stolz stehen sie auf der Bühne, das langersehnte Zeugnis in der Hand. Zum historischen Festtag gratulieren auch wichtige Persönlichkeiten: Der Frankfurter Oberbürgermeister und Hessens Kultusminister halten Reden. Live dazugeschaltet wird außerdem ein ehemaliger Schüler aus Kalifornien: Der heute 93-jährige Werner Rothschild hat selbst bis 1939 die I. E. Lichtigfeld-Schule besucht, ehe er vor den Nazis ins Ausland fliehen musste.

Die Abiturient*innen lauschen mit roten Wangen den Gratulationen. Zum historischen Moment des ersten Abitur-Jahrgangs seit über 70 Jahren – und zum persönlichen Glück: Endlich Abi!



 

P.S.

Die Rote Karotte hat diese Woche Urlaub, deshalb hat sie den Artikel bereits letzte Woche vorbereitet.

Nächste Woche gibt es wieder ein aktuelles Thema!

 

Quellen


Theresa Weiss (2021, 24. Juni) Das erste Abitur nach der Schoa. Frankfurter Allgemeine. Abgerufen am 04.07.2021 von Erstes Abitur nach Holocaust an jüdischer Lichtigfeldschule in Frankfurt (faz.net)


(2016, 18. April) Besuch in einer jüdischen Schule. ARD Mittagsmagazin. Abgerufen am 04.07.2021 von Besuch in einer jüdischen Schule - YouTube


Eugen El (2021, 01. Juli) Elf Schüler schreiben Geschichte. Jüdische Allgemeine. Abgerufen am 04.07.2021 von Elf Schüler schreiben Geschichte | Jüdische Allgemeine (juedische-allgemeine.de)


(2021, 25. Juni) Erster Abi-Jahrgang seit 1939. Journal Frankfurt. Abgerufen am 04.07.2021 von Journal Frankfurt Nachrichten - Erster Abi-Jahrgang seit 1939 - I.E. Lichtigfeld-Schule (journal-frankfurt.de)


Hanning Voigts. (2021, 25. Juni) Jüdischer Abijahrgang in Frankfurt: „Ein Tag der Freude“. Frankfurter Allgemeine. Abgerufen am 04.07.2021 von Jüdischer Abijahrgang in Frankfurt: „Ein Tag der Freude“ | Frankfurt


I. E. Lichtigfeld-Schule: Grundschule und Gymnasium mit Tradition und Renommee. Jüdische Gemeinde Frankfurt/M. Abgerufen am 04.07.2021 von Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main | I. E. Lichtigfeld-Schule (jg-ffm.de)


Die Geschichte der Jüdischen Gemeinde Frankfurt. Jüdische Gemeinde Frankfurt/M. Abgerufen am 04.07.2021 von Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main | Geschichte (jg-ffm.de)



Philanthropin (Frankfurt am Main). Wikipedia. Abgerufen am 04.07.2021 von Philanthropin (Frankfurt am Main) – Wikipedia


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