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Rote Karotte

Demokratie mit Abstand


Seit vier Jahrzehnten macht die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) Politik in Deutschland. Sie ist mit einer Abgeordnetin im Europaparlament vertreten, stellt bundesweit mehrere Bürgermeister und hat in den letzten drei Bundestagswahlen mehr als 100.000 Stimmen bekommen. Dieses Jahr bangt die ÖDP, ob sie zur Bundestagswahl am 27. September zugelassen wird.


Denn die ÖDP ist eine kleine Partei und muss deshalb gemäß Bundeswahlgesetz vor jeder Wahl tausende Unterschriften sammeln. Unterschriften sammelt man eigentlich auf der Straße: Man quatscht die Leute an, kommt mit ihnen ins Gespräch, drückt ihnen einen Flyer in die Hand und kann sie im besten Fall überzeugen, zu unterschreiben. Aber das ist schwierig zu Zeiten von Corona und Kontaktbeschränkung.


Dieses Problem hat nicht nur der ÖDP. Ein breites politisches Spektrum ist betroffen: Die Piraten, die Klimaliste, die Liberal-Konservativen Reformer (LKR) – das Auffangbecken für AfDler, denen ihre Partei zu radikal geworden ist –, die ÖDP… Die Liste ließe sich beliebig fortführen.


Sie zählen zu den sogenannten nicht-etablierten Parteien. Das heißt, sie sind mit weniger als fünf Abgeordneten im Bundestag vertreten. Das Bundeswahlgesetz schreibt dann vor, dass für die Zulassung für eine Landesliste ein Promille aller Wahlberechtigten unterschreiben muss, wobei die Zahl auf 2.000 gedeckelt ist. Allein aus Bayern braucht es deshalb 2.000 Unterschriften. Insgesamt braucht eine Partei für alle 16 Bundesländer 27.495 Unterschriften. Außerdem braucht es noch Unterschriften für Direktmandate, nämlich 200 pro Wahlkreis. In Deutschland gibt es 299 Wahlkreise, das heißt, man braucht noch einmal 59.800 Unterschriften. Das macht insgesamt 87.295 Unterschriften. Sie müssen bis zum 12. Juli vorgelegt werden.


Der Protest gegen dieses Verfahren ist groß. In dem Bundesland Baden-Württemberg beispielsweise haben mehrere kleine Parteien geklagt und vom Landesverfassungsgericht Recht bekommen: Unterschriften sammeln während Corona benachteiligt die kleinen Parteien. Deshalb wurde die Unterschriftenzahl in Baden-Württemberg halbiert. Für die Landeswahl am 13. März brauchten die nicht-etablierten Parteien nur noch 5.250 Unterschriften zu sammeln.


Auch das Bundesland Berlin hat die notwendigen Unterschriften, nämlich zunächst auf 1.100 (halbiert). Der Verfassungsgerichtshof hielt dies aber nach wie vor für zu hoch, deshalb wurde diese Woche noch einmal gekürzt: Jetzt sind nur noch 660 Unterschriften notwendig, um bei der Wahl im Herbst auf dem Wahlzettel zu stehen.


Was spricht für – was gegen eine Änderung?

Pro: Das Hauptargument für die tausenden Unterschriften ist, dass kleine Parteien damit ihre Ernsthaftigkeit beweisen müssen. Nur, wer sich dem Straßenkampf stellt und um Unterschriften wirbt, beweist, dass er eine ernstzunehmende Partei vertritt. Außerdem garantiert die Unterschriften-Hürde, dass der Wahlzettel nicht ins endlose ausufert. Das schützt auch vor einer Zersplitterung der Wahlstimmen.

Contra: Unterschriften sammeln geht nicht ohne Kontakt – und Kontakt zu Corona-Zeiten ist schlecht. So pauschal kann man das sagen. Oder mit anderen Worten: „Es fühlt sich falsch an, die Abstandsregeln für demokratische Teilhabe zu ignorieren“ (Beatrice Bednarz, Spitzenkandidatin der Klimaliste in Rheinland-Pfalz)


Es gibt zwei grundlegende Ansätze, wie das Wahlgesetz verändert werden könnte:

  1. Die Zulassungshürden werden heruntergesetzt. Das könnte zum Beispiel bedeuten, dass deutlich weniger Unterschriften gesammelt werden müssen. Wobei damit das Problem verringert, aber nicht gelöst wird. Eine alternative Möglichkeit wäre es, alle Parteien zuzulassen, die in der letzten Bundestagswahl oder Europawahl zugelassen wurden. Dies würde allerdings Parteien benachteiligen, die sich erst nach der letzten Wahl gründeten.

  2. Der zweite Vorschlag ist schlicht: Das Verfahren digitalisieren. Bisher muss handschriftlich unterschrieben werden. Viele kritisieren das als nicht mehr zeitgemäß und fordern, dass man Parteien auch im Netz seine Unterstützung aussprechen können sollte.

Welche Veränderung kommen wird, ist noch offen. Aber es kommt Bewegung in die Diskussion: Anfang März hat der Bundestagspräsident Schäuble Anpassungen zu Gunsten der kleinen Parteien gefordert. Außerdem lief an diesem Freitag ein Ultimatum der LKR aus. Die Partei hatte angekündigt, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, wenn bis zum 19. März keine Veränderung erfolgt sein sollte. Die Chancen stehen gut, dass das Gericht zu Gunsten der kleinen Parteien urteilen wird – wie schon in Baden-Württemberg und Berlin. Bis zu einem Urteil aber bleiben die nicht-etablierten Parteien im ungewissen.

 

Quellen


Luise Glum, Nadine Sebastian, Severin Weiland. (2021, 26. Februar) Kleinparteien fordern niedrigere Zulassungshürden zur Bundestagswahl. Der Spiegel. Abgerufen am 21.03.2021 von https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundestagswahl-2021-kleine-parteien-fordern-einfachere-zulassung-a-b4988be0-243c-4b6e-88c4-d633ec2e30dd


(2021, 18. März) Kleine Parteien brauchen nur noch wenige Hundert Unterschriften. RBB. Abgerufen am21.03.2021 von https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2021/03/berlin-kleine-parteien-zulassung-wahl-gerichtshof-unterschriften.html


(2021, 11. Februar) Berliner Abgeordnetenhaus beschließt neues Landeswahlgesetz. RBB. Abgerufen am 21.03.2021 von https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2021/02/berlin-wahl-abgeordnetenhaus-bundestagswahl-landeswahlgesetz.html


(2020, 12. November) Baden-Württemberg senkt Wahlhürde für kleine Parteien. Zeit. Abgerufen am 21.03.2021 von https://www.zeit.de/politik/2020-11/landtagswahl-2021-baden-wuerttemberg-huerde-senkung-unterschriften


Robert Roßmann (2021, 25. Februar) Hohe Hürden für die Kleinen. Süddeutsche Zeitung. Abgerufen am 21.03.2021 von https://www.sueddeutsche.de/politik/wahlrecht-bundestagswahl-oedp-piratenpartei-sonneborn-1.5218158


Bundestagswahl 2021. Informationen für Wahlbewerberinnen und Wahlbewerber zur Teilnahme an der Bundestagswahl. Der Bundeswahlleiter. Abgerufen am 21.03.2021 von https://www.bundeswahlleiter.de/bundestagswahlen/2021/informationen-wahlbewerber.html#cebe5e7f-322d-4146-97e3-ced17ed48772


Bert Schulz (2021, 25. Januar) „Diese Hürden sind zu hoch. TAZ. Abgerufen am 21.03.2021 von https://taz.de/Kleine-Parteien-vor-der-Wahl-in-Berlin/!5745352/


(2021, 06. März) Schäuble fordert umgehende Änderung des Wahlrechts zugunsten kleiner Parteien. Welt. Abgerufen am 21.03.2021 von https://www.welt.de/politik/deutschland/article227750445/Wolfgang-Schaeuble-fuer-Wahlrechtsreform-zugunsten-kleiner-Parteien.html


Julius Betschka (2021, 13. Januar) Warum kleine Parteien wegen Corona kaum Chancen auf die Abgeordnetenhauswahl haben. Abgerufen am 21.03.2021 von https://www.tagesspiegel.de/berlin/aenderung-des-berliner-wahlgesetzes-warum-kleine-parteien-wegen-corona-kaum-chancen-auf-die-abgeordnetenhauswahl-haben/26792256.html

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